Die Ballettlehrerin Xiao Gao
Eine meiner wichtigsten Ballett Lehrerinnen ist Xiao Gao. Sie unterrichtet uns sehr engagiert und gibt die Hoffnung nicht auf, auch wenn es ja schon auf Grund des Alters eigentlich unmoeglich ist, dass z.B. Leute wie ich jemals den hohen Anforderungen von Frau Gao genuegen koennen.
Xiao Gao ist nicht etwa – wie es zu erwarten waere – fruehzeitig von ihren Eltern zum Ballett Unterricht geschickt worden, sondern hat selber erst mit elf Jahren durch eine Fernsehsendung ueber Ballett ihre Lust zum Tanzen erfahren. Sie war so begeistert, dass ihre Eltern sie schliesslich auf einer oertlichen Kunstschule angemeldet haben. Doch Xiao Gao kommt aus Chongqing in Sizhuan und dort gab es zu dieser Zeit noch kaum Ballett Unterricht. Deswegen lernte sie zuerst chinesischen Volkstanz. Sie war sehr eifrig und schaffte schon nach einem Jahr die Aufnahmepruefung auf die Ballettschule in Peking. Doch Peking ist weit weg von Sizhuan und Xiao Gao`s Eltern sind normale Arbeiter. Ihr Vater brachte sie nach Peking und musste dann nach einer Woche zurueck nach Sizhuan. Seine Tochter blieb alleine auf der Schule in der fremden Stadt.
Xiao Gao litt furchtbar unter Heimweh, hat einen Monat lang fast pausenlos geweint und im zweiten Monat weinte sie auch noch viel, so dass ihre Mitschueler sie als “Wecker” bezeichneten, da sie nachts immer im Schlafsaal mit ihrem Weinen die anderen Schueler aufgeweckt hat. Im dritten Monat gab es dann die in China an Schulen und Universitaeten obligatorische Gesundheitsuntersuchung und weil Xiao Gao vom vielen Weinen, dem fremden Essen und dem fuer sie ungewoehnlichen Wetter geschwaecht war, hat man sie mit Verdacht auf Hepatitis im Krankenhaus isoliert. Grundlos wie die Aerzte leider erst nach zwei Monaten merkten. Als Xiao Gao endlich wieder zur Schule durfte, waren ihre Klassenkameraden bereits weit fortgeschritten und hatten viel gelernt. Sie musste nun den verpassten Stoff nachholen. Zudem war sie im Krankenhaus dick geworden und die Lehrer verpassten ihr deswegen eine schreckliche Abmagerungskur. Die Ausbildung zur Taenzerin dauert in China sieben Jahre. Obwohl sie sich zweimal am Fuss und einmal an der Wirbelsaeule verletzte, schaffte sie puenktlich ihre Abschlusspruefung und wurde gleich als Ballett Taenzerin im Shanghaier Ballett aufgenommen. Mit dem Shanghaier Ballett ging sie eine zeitlang auf Tournee bis es dann direkt zu dem Zeitpunkt, als man sie fuer eine Hauptrolle vorgeschlagen hatte, leider wieder eine Verletzung gab. Zwei Sehnen im rechten Fuss waren gerissen und mussten – ohne operiert zu werden! – langsam zusammenwachsen. Waehrend dieser Zeit ging der alte Ballettmeister Ling Yangyang in Rente und die neue Ballettmeisterin Xing Lili mochte Xiao Gao nicht besonders. Wer aber Karriere machen will, braucht vorallem auch Gelegenheit seine Faehigkeiten zeigen zu koennen. Ling Yangyang mochte Xiao Gao und hat sie immer vorne und als Leader tanzen lassen, waehrend die neue Ballettmeisterin andere Taenzerinnen bevorzugte. Die unglaublichen Schmerzen bei dem Neueinstieg nach der Verletzung kombiniert mit der unfreundlichen neuen Ballettmeisterin haben bewirkt, dass Xiao Gao keine Freude mehr bei der Arbeit spuerte. Deswegen hat sie eines Tages um ihre Entlassung gebeten. Inzwischen ist sie eine ausgezeichnete, sehr beliebte, charismatische Lehrerin und eine moderne, weltoffene, junge Frau. Sie ist ein Mensch, der den Mut hat, auf ihre eigenen Gefuehle zu hoeren.
Weil Xiao Gao das Shanghaier Ballett vorzeitig verlassen hat, bekommt sie keine Rente und ist ueberhaupt nicht sozial abgesichert. Auch die Arbeit an der Ballett Schule ist ohne soziale Absicherung.
Labels: China spezial, Frauen, Kindheit, Kultur, unglueckliche Kindheit
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